Anschlussbegeisterung und Volksabstimmung
Noch
vor dem deutschen Einmarsch kam es zu pogromartigen
Ausschreitungen der Wiener Antisemiten gegenüber Juden. Während
Hitler unter dem Jubel Tausender in Österreich eintraf,
begann das NS-Terrorsystem seine „Arbeit“: Verhaftungen,
erste Transporte ins KZ, öffentliche Demütigung von Juden
usw.
(Hitler
am Heldenplatz) |
Beim Einzug
Hitlers mit den deutschen Truppen über Braunau und Linz nach
Wien wurde er von Tausenden Österreichern begeistert
empfangen. Geschätzte 250 000 Menschen waren bei einer
Kundgebung am Wiener Heldenplatz und entlang der Ringstraße.
Diese waren zum Teil überzeugte Nazis und zum Großteil
Schaulustige, Mitläufer und Opportunisten. Während
Hitler durch Österreich fuhr, begann bereits der NS-Terror:
50 bis 70.000 Österreicherinnen wurden in den ersten sechs
Wochen eingesperrt. Die Presse wurde von politisch
Andersdenkenden „gesäubert“ |
und gleichgeschaltet.
Prominente des Austrofaschismus, Kommunisten, Sozialisten,
antifaschistische Künstler und vor allem jüdische Mitbürger
wurden öffentlich gedemütigt, beraubt, enteignet und
inhaftiert. |
Die
pogromartigen Ausschreitungen begannen bereits am 11. März,
noch ehe das Land besetzt war. Juden wurden von öffentlichen
Ämtern und Schulen ausgeschlossen (Vergleiche Haas 2001, S.45ff.)
Gründe
für die Begeisterung
Es gab
zahlreiche Gründe für die Begeisterung rund um den
„Anschluss“ im Frühjahr 1938:
- Die
wirtschaftliche und soziale Situation in den
1930er Jahren war
in Österreich katastrophal. Durch
die Machtübernahme der Nationalsozialisten in
Deutschland 1933 erfolgte
wirtschaftlicher
Aufschwung und Vollbeschäftigung durch die
deutsche Rüstungswirtschaft. Die Folge der
Errichtung eines
autoritären Regimes in Österreich
ab 1933 brachte keinen ähnlichen
Aufschwung.
Viele Menschen blickten daher sehnsüchtig nach
Deutschland
und erhofften durch die Macht-
übernahme der Nazis ähnliche
Konsequenzen
für Österreich. Nach dem Einmarsch am 12. März |
(Spatenstich
zum Bau der Autobahn
Salzburg - Wien)
|
bis zur
Volksabstimmung am 10. April 1938 über den bereits
vollzogenen
„Anschluss“ versuchten die Nazis durch populäre
Maßnahmen (wie z. B. das
Aufstellen von „Gulaschkanonen“) diese
Hoffnungen zu verstärken. Durch
publikumswirksame Aktionen, wie
den Spatenstich zum Bau der Autobahn Salzburg-Wien,
hofften viele
Menschen auf Arbeit. |
- Neben
einer äußerst wirksamen Propaganda hatte die Volksabstimmung
auch zahlreiche prominente
Fürsprecher (wie z. B. den ehemaligen
Staatskanzler und Nationalratspräsidenten Karl
Renner). Beispielhaft sei
hier die Erklärung der österreichischen Bischöfe vom
18. März 1933
angeführt: |
(Wahlpropaganda) |
"Am Tage der Volksabstimmung ist es für uns
Bischöfe selbstverständlich nationale Pflicht, uns als
Deutsche zu bekennen, und wir erwarten auch von allen
gläubigen Christen, dass sie wissen, was sie ihrem
Volke schuldig sind.“ (Zitiert
nach Haas 2001, S.46) |
-
Aus dieser Erklärung wird ein Problem deutlich, dass
der Historiker
Ernst Hanisch als Identitätskrise
bezeichnet hat (1994, S.308): In
Österreich herrschte kein starkes Nationalgefühl. Die
Bevölkerung sah
ihr Land als „zweiten deutschen Staat“,
die Menschen
wussten nicht recht, wer sie nun waren: Deutsche oder
Österreicher?
Denn diese Frage wurde immer von oben bestimmt: Der von
vielen
gewünschte Anschluss an Deutschland wurde 1919
(Friedensvertrag von
St. Germain), 1922 (Genfer Anleihe) und 1932 (Lausanner
Anleihe)
verboten. 1934 zwang ihnen der Austrofaschismus die
Liebe zum
Heimatland Österreich auf, in denen sie die
„besseren“, weil katholischen
Deutschen waren (Haas 2001, 29). 1938 war es schließlich
nicht
schwierig, die Menschen als Deutsche zu definieren.
Volksabstimmung
vom 10. April 1938
(Stimmzettel)
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Nachdem eine
erste Terrorwelle über das Land hinweggegangen war, wurde die
Volksabstimmungspropaganda unter der Leitung deutscher Berater
und Parteifunktionäre zu einem großangelegten Schauspiel der
Monopolpartei und des Staates. Die „Wiedervereinigung“ mit
dem Deutschen Reich wurde mit 99,6 Prozent der
Wahlberechtigten bestätigt. |
Auf vielfältige Weise hatte die
Mischung von Terror, Einschüchterung, Versprechen,
Propaganda, Begeisterung und fast perfekter Organisation
dieses Ergebnis bewirkt. Die Wahlbeteiligung lag bei 99,7
Prozent. Bei dieser Volksabstimmung waren 360.000 Österreicher
(8 Prozent der Bevölkerung) nicht wahlberechtigt. Diese
Personen durften als Juden oder politisch Verfolgte nicht
abstimmen. Es gab praktisch kein Wahlgeheimnis, die Flüsterpropaganda
ließ geheime Kontrollen befürchten, die Einschüchterung war
erheblich und alternative Propaganda undenkbar. Es war daher
gar nicht erforderlich gewesen, das Ergebnis im |
(Propaganda) |
(Im
Wahllokal)
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großen und
ganzen direkt zu fälschen. Es wurde nach innen und außen
der
Eindruck vermittelt, als hätte „das ganze Volk“, alle Österreicherinnen,
dem „Anschluss“, der ohnehin nicht mehr rückgängig zu
machen war, zugestimmt. Der Völkerbund nahm die Ereignisse
kommentarlos zur Kenntnis (Vergleiche Haas 2001, S.47; Botz/Ellmauer/Prenninger
1998, S.10). |
(...zurück) |
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erstmals
veröffentlicht: 01.03. 2003 - aktualisiert am: 10.10.2003
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