Skandale
und tabuisierte Vergangenheit
Es
dauerte lange, bis man in Österreich begann, offen über
die nationalsozialistische Vergangenheit zu reden. Auch die
regelmäßigen Skandale führten zu keiner breiten
Diskussion. Die NS-Vergangenheit bildete bis in die 1980er
Jahre ein großes Tabuthema.
1965:
Die Affäre Borodajkewycz
Taras
Borodajkewycz war Professor an der Wiener Hochschule für
Welthandel. Er machte in seinen Vorlesungen offen
nationalsozialistische Aussagen. Es kam zu längeren öffentlichen
Auseinandersetzungen, die das erste politische Todesopfer
der Zweiten Republik forderten: Bei einer Demonstration
Anfang April 1965 wurde der ehemalige kommunistische
Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger getötet. Borodajkewycz
wurde schließlich zwangspensioniert.
1975:
Die Affäre Peter – Kreisky - Wiesenthal
Auch die
1970er Jahre brachten keine große Veränderung. Die Affäre
Peter – Kreisky – Wiesenthal führte 1975 noch zu keiner
breiten Diskussion über die NS-Vergangenheit. Der damalige
Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon
Wiesenthal, veröffentlichte nach der Nationalratswahl 1975
einen Bericht über den damaligen FPÖ-Chef Friedrich Peter.
Daraus ging hervor, dass dieser als Obersturmbannführer in
einer mit Massenmorden in Verbindung stehenden SS-Einheit
gedient hatte. Der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ)
war durch das eigene Schicksal der Verfolgung und des Exils
gegenüber jeden Verdacht der Sympathie für den
Nationalsozialismus erhaben. Er beschützte seinen
politischen Partner Peter. Darüber hinaus beschuldigte er
Wiesenthal, mit Mafiamethoden zu arbeiten und unterstellte
ihm sinngemäß, als KZ-Insasse mit der Gestapo kollaboriert
zu haben (Vergleiche Gehler/Sickinger 1995, S.678).
1985:
Die Reder-Affäre
Der
ehemalige SS-Obersturmbannführer Walter Reder war
verantwortlich für ein Massaker in der italienischen
Ortschaft Marzabotto bei Bologna im September 1944. Die 1830
Opfer waren meist alte Menschen, Frauen und Kinder. Reder
wurde 1951 in Bologna zu lebenslänglicher Haft verurteilt.
1985 wurde er entlassen (Vergleiche Enzyklopädie des NS 2001,
S.872f; S.579)
In Österreich
wurde er vom damaligen Verteidigungsminister Friedhelm
Frischenschlager (FPÖ) am Flughafen mit Handschlag
empfangen. Dieser Handschlag erregte auch international
Aufsehen und ausländische Medien griffen das Verhältnis
der Österreicher zur NS-Vergangenheit auf. Eine Aussage Jörg
Haiders aus dem Jahr 1985 macht deutlich, wie die
nationalsozialistische Vergangenheit von manchen Österreichern
betrachtet wurde:
"Die
Rückkehr von Walter Reder hat beträchtlichen Staub
aufgewirbelt. Die finsteren Ereignisse der Vergangenheit
werden beschworen und Reder zur Symbolfigur für alle
Greueltaten erklärt. Das ist betrüblich und erschütternd.
Denn Walter Reder war Soldat wie Hunderttausende andere
auch. Er hat seine Pflicht erfüllt, wie es der Eid des
Soldaten gebietet. (...) Sein Schicksal ist die tragische
Lebensgeschichte eines Soldaten, dessen Tun nicht mit
Greueltaten des NS-Regimes verglichen werden kann. Das
Schicksal Walter Reders hätte jeden unserer Väter
ereilen können." (Kärntner
Nachrichten, 14. Februar 1985; zitiert nach Czernin 2000,
S.15)
Die
Diskussionen endeten zwar bald wieder, doch die nächste
Aufregung lag bereits in der Luft: Die Waldheim-Affäre
war ein entscheidender Einschnitt im Umgang mit der
Nazi-Vergangenheit.
(...zurück) |
|
|
|
erstmals
veröffentlicht: 01.03. 2003 - aktualisiert am: 10.10.2003
|
|