Politische
Gewalt
Ein
Merkmal der Ersten Republik war – und darin liegt ein großer
Unterschied zur Zweiten Republik –, dass Gewalt als
politisches Mittel angesehen wurde. Der Justizpalastbrand
stellt den negativen Höhepunkt der Auseinandersetzungen dar.
In der
Ersten Republik kam es oft zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen auf Grund von politischen Gegensätzen.
Der Verlust des staatlichen Gewaltmonopols ist ein
Kennzeichen der Ersten Republik. Ein typisches Muster der
Gewalt war das Stören gegnerischer Versammlungen.Aus
politischen Gründen wurden zwischen dem 12. November 1918
(Ausrufung der Republik) und dem 11. Februar 1934 (Tag vor
Beginn des Bürgerkrieges) 217 Menschen getötet und 642
schwer verletzt (siehe Tabelle 4 in Botz 1975, S.521).
"Der hohe Gewaltpegel war zum einen Ausdruck einer
tiefgreifenden Militarisierung der Gesellschaft, der Lust am
Soldatenspiel, der Lust an Uniformen, der Lust an
schneidiger Männlichkeit (der ‚Hahnenschwanz’ auf den Mützen
der Heimwehr als Symbol männlicher Kraft), er war zum
anderen der wohl deutlichste Ausdruck der Krise des
politischen Systems. Da die angesammelten Konflikte nicht
friedlich gelöst und kanalisiert werden konnten, entluden
sie sich in eruptiven Ausbrüchen politischer Gewalt.“
(Hanisch 1994, S.287f.)
Die
Auseinandersetzungen nahmen auch deshalb so heftige Formen
an, da den Lagern die vollständige Mobilisierung ihrer Anhängerschaft
gelang.
Justizpalastbrand
(Brand des Justizpalastes)
|
Ein Höhepunkt
der gewalttätigen Auseinandersetzungen war der 15. Juli
1927. Die Unruhen begannen als Reaktion auf die Freisprüche
im „Schattendorfer Prozess“. Zwei ehemalige Frontkämpfer,
die bei einem Aufmarsch des Schutzbundes im burgenländischen
Ort Schattendorf einen Kriegsinvaliden und ein Kind
erschossen hatten, wurden freigesprochen. Als Reaktion auf
dieses Urteil kam es in Wien zu Protesten.
|
Die aufgebrachten
Arbeiter setzten den Justizpalast in Brand, worauf die
Polizei mit Gewalt reagierte. Das Ergebnis der
Auseinandersetzungen: 89 Tote und 177 Schwerverletzte (siehe
Tabelle 4 in Botz 1975, S.521).
|
Wehrverbände
Nach Ende
des Ersten Weltkrieges bildeten sich zahlreiche Wehrverbände,
um in den Wirren der Nachkriegszeit die Ordnung aufrecht zu
erhalten. Diese Wehrverbände vertraten oft unterschiedliche
Weltanschauungen. Die ideologischen Gegensätze verschärften
sich im Verlauf der Zeit und die bewaffneten, uniformierten
Verbände wurde zu einem fixen und prägenden Bestandteil
der Ersten Republik.
"In den
Wehrverbänden entzogen die Lager dem Staat sogar das
Gewaltmonopol, das löste eine hohen Gewaltpegel aus, was
wiederum die Demokratie (als Modell friedlicher
Konfliktregelung) schwächte."
(Hanisch 1994, S.307)
Als Folge
der zunehmenden Auseinandersetzungen stärkten die Lager –
in Form militärischer Aufrüstung – ihre Wehrverbände:
Der vorherrschende Konflikt in der Ersten Republik war die
Auseinandersetzung des Republikanischen Schutzbund der SDAP
und der den Christlichsozialen nahestehenden Heimwehren.
Anfang der 30er Jahre, als die NSDAP den Landbund und die
Großdeutsche Volkspartei als Repräsentantinnen des
deutschnationalen Lagers abzulösen begann, kamen noch die
SA und die SS als weitere Wehrverbände hinzu.
Republikanischer Schutzbund
Die SDAP
beschloss Ende 1922, aus den bestehenden Ordner- und
Arbeiterwehren den Republikanischen Schutzbund (RSB) zu
schaffen. Dieses Vorhaben wurde im Frühjahr 1923
realisiert. Der ehemalige Heeresminister Julius Deutsch
wurde Obmann. Da die RSB-Leitung der Partei unterstand,
hatte die SDAP somit eine „politische Armee“ zur Verfügung.
Der
RSB hatte zwei Hauptaufgaben:
- Die
Ordnung bei sozialdemokratischen Kundgebungen und
Aufmärschen aufrechtzuerhalten und die Versammlungen
somit
auch vor gegnerischen Störungen zu
bewahren.
-
Bereit sein, um Angriffe auf das parlamentarische System
abzuwehren.
Heimwehr-Bewegung
Die Heimwehren waren aus den frühen
Bauern- und Bürgerwehren hervorgegangen. Sie waren durch
Uneinigkeit gekennzeichnet. Es gab in den verschiedenen
Bundesländern unabhängige Verbände. Diese waren oft durch
Landestreue, persönliche Differenzen und Rivalitäten unter
den |
(Heimwehraufmarsch)
|
Führern und durch verschiedene Orientierungen und
Interessen gespalten. Vor allem ihre Opposition zur
Sozialdemokratie hielt sie aber einigermaßen zusammen.
Heimwehrführer kritisierten daher sogar die demokratische
Verfassung, da sie der SDAP die Macht in Wien und anderen
Industriestädten sowie die Teilnahme an der Regierung in |
mehreren Bundesländern ermöglichte (Edmondson 1995, S.266).
Die
Heimwehren setzten sich für eine Gesamtänderung des
politischen Systems ein: Sie wollten die Demokratie durch
ein autoritäres System ersetzen.
|
(...zurück) |
|
|
|
erstmals
veröffentlicht: 1.03. 2003 - aktualisiert am: 10.10.2003
|
|